Vertieft in ein Gespräch und trotzdem aufmerksam genug um die Flugbahn einer Wespe zu beobachten, die von einem Tisch zum anderen fliegt, sitze ich da. Die Tische neben uns sind frei, lediglich ein älterer Herr mit sich lichtendem Haar und Hornbrille starrt versunken in die aufgeschlagene Zeitung vor ihm. Kurz abschweifend denke ich darüber nach, was die aufgeschlagene Seite des beidseitig bedrucktem, schwarz-weiß Exemplars ihm wohl an Neuigkeiten vermittelt. Ob der alte Mann bei den neuen Schrecklichkeiten etwas fühlt oder ob er ein neutraler Leser ist und die Nachrichten lediglich auf sich einprasseln lässt, sie aufschnappt, ihnen aber den Weg zu seinem Herzen verwehrt.
Die Wespe landet auf seinem dünnen, weißen Haar an der rechten Seite seines Kopfes. Der Mann merkt nichts. Er liest weiter. Die kleine Wespe scheint ihren Körper erfolgreich abgebremst zu haben. Sie schaut sich um. Entscheidet sich dazu ihre Umgebung genauer zu erkunden. Sie krabbelt näher an das Ohr. Hinter das Ohr. Das Rechte. Ich kann sie nicht mehr sehen.
Die Hand des Mannes schnellt blitzartig hervor. Sie trifft sein Ohr. Das Rechte. Die arme, kleine Wespe, denke ich. Der Mann nimmt seine dunkel gefärbte Brille von der Nase, die Zeitung liegt längst schräg auf seinem Schoß. Eine Seite droht herauszufallen. Mit rechter Hand tastet er sein Ohr ab, kratzt schließlich.
10 Sekunden. Eine Minute. Noch eine Minute verstreicht. Schließlich streicht er über sein Haar. Dort, wo die Wespe sich aufgehalten hatte. Nach hinten gleiten seine Finger. Immer, immer wieder. Schließlich liegen die paar Haare wieder glatt an der Haut. Ich erblicke die Wespe. Sie krabbelt am Boden entlang. Direkt zwischen seinen Füßen befindet sie sich nun. Nur einmal müsste er seinen rechten Fuß minimal nach links bewegen. Es wäre ihr Ende.
Aber seine Füße bleiben fest auf dem Boden, rühren sich nicht. Der Herr setzt sich seine Brille wieder auf. Plötzlich bewegt sich sein Kopf. Wenn er jetzt die Wespe erblickt – es würde für sie nicht gutausgehen. Er dreht sich um. Schneller, als ich es ihm zugetraut hätte. Sein Blick fällt auf mich. Böse schaut er mich an.
Glück gehabt, kleine Wespe, denke ich und starre zurück.