Unfall vor Weihnachten…

Täglich passieren Unfälle und man liest davon in der Zeitung oder hört es im Radio. Und doch trübt es meine Stimmung besonders, wenn ich von solchen in der Vorweihnachtszeit lese. Bei jedem vorbeifahrenden Feuerwehrwagen mit lauter Sirene kommt mir der Gedanke an eine weitere traurige Familie, die Weihachten wohl im Krankenhaus verbringen wird. Vielleicht kommt es daher, dass eine Frau, die ich kenne, einen Unfall hatte.

Ich habe mit der Frau nicht oft gesprochen, habe keine besondere Beziehung zu ihr und doch ist es mir total nahe gegangen, als ich davon gehört habe. Zudem wird sie wohl bleibende Schäden davontragen und daran musste ich ständig denken. An diese Auswirkungen des Unfalls, der nicht länger als ein paar Sekunden gedauert haben mag.
Vielleicht hat es mich auch so getroffen, weil ich daran erinnert wurde, wie schnell etwas schief gehen kann. Wie schnell sich das ganze Leben verändern kann. Von der einen Sekunde auf die andere. Ich habe mir auch vorgestellt, wie diese Frau nach der Notoperation aufgewacht ist und genau das realisiert hat. Dass ihr Leben von heute auf morgen komplett anders ist. Dass sie ab jetzt stark eingeschränkt ist und immer wieder mit Niederschlägen rechnen muss.
Bei diesem Gedanken empfinde ich tiefstes Mitgefühl und Trauer. Und es betrifft nicht nur diese eine Frau, sondern die ganze Familie. Eine weitere Familie, die Weihnachten im Krankenhaus verbringen wird.

Und mich hat noch etwas ungemein erschüttert. Die Presse. Schon nach kurzer Zeit wurde der Name dieser Frau vollständig veröffentlicht, sowie viele persönliche Informationen. So etwas finde ich dreist und respektlos dieser Person gegenüber. Man kann Namen auch ändern oder lediglich die Initialen angeben. Das ändert nichts an dem Ereignis an sich.

Ich bin mir darüber bewusst, dass auf der Welt täglich, stündlich viele Menschen sterben oder verletzt werden. Und doch geht es einem besonders nahe, wenn so etwas im eigenen Umfeld passiert. Denn erst dann wird es persönlich und geht einen unmittelbar etwas an. Dann setzt man sich damit besonders und auf eine andere Art und Weise auseinander. Man denkt mehr darüber nach, weil man damit mehr, als ein Außenstehender, verbindet. Weil man den betreffenden Menschen kennt und an ihn speziell denkt. Das macht das Mitgefühl, die Trauer, die Gedanken einfach intensiver und persönlicher.

Obwohl ich weiß, dass dieser Unfall kein Einzelfall ist, verspüre ich unmittelbar danach irgendwo in mir Angst. Angst davor, dass es mich oder einen aus meinem näheren Umfeld treffen könnte. Irgendwie wirkt der Unfall, dadurch, dass ich die Frau kenne, realer. Und ich habe Angst vor dieser Realität. Wenn ich ehrlich bin, dann trifft es mich nicht mehr so stark, wenn ich täglich von Unfälle in der ganzen Welt höre. Natürlich bin ich entsetzt und bestürzt, aber meistens ist es eine Stunde später wieder vergessen. Ich bin irgendwie abgehärtet, weil diese Berichte zum Alltag dazuzugehören scheinen. Leider. Und diese Erkenntnis macht mich wiederum traurig, weil so etwas nicht zur Normalität gehören sollte. Nicht so etwas Schreckliches.

Werbung

Kälte…

Es regnet. Kalter Wind peitscht mir in das notdürftig, mit einer Kapuze geschützte, Gesicht. Ich schmiege meinen Hals an den dunkelroten Schal, der längst durchnässt ist. Genauso, wie meine Haare.
Langsam dringt die Kälte von außen nach innen vor. Zuerst werden die Fingerspitzen taub. Schmerzen bei jeglicher Bewegung. Sie machen nicht mehr das, was ich will.
Als ich mein Handy aus der Hosentasche ziehen möchte, fällt es mir fast herunter, da meine Finger nicht mehr greifen. Das Aneinanderreiben der Hände bringt nichts mehr. Als ich einen der schlammbedeckten, ursprünglich weißen Schuhe aus dem Matsch ziehe, schmerzt mein Bein.
Meine Haut spannt sich und beim Sprechen fühlt sich meine Zunge taub an. Ich habe nicht die volle Kontrolle über sie.
Als ich anfange loszugehen, fühlt es sich gut an. Nachdem die eingefrorenen Gelenke sich an die Bewegung gewöhnt haben, fühlt es sich wie Schweben an. Ich spüre meine Beine nicht mehr und doch geht es voran. Zuhause angekommen, lege ich meine Hände auf die Heizung. Alles kribbelt, ich merke, wie alles auftaut. Es ist ein unangenehmes und gleichzeitig beruhigendes Gefühl. Es dauert einige Zeit, bis ich wieder vollständige Kontrolle über meine Hände habe. Aber schließlich habe ich sie. Über alles. Und mein Körper hat seine ursprüngliche Temperatur wieder angenommen. Er ist wieder warm. Alles ist warm. Und von der Kälte bleiben lediglich die Gedanken daran zurück.

Beobachtet…

Unsichtbare Augen verfolgen einen und man ist unsicher. Diese Unsicherheit führt dazu, dass man sich verstellt. Gänzlich. Diese Augen verändern einen. Lassen einen zu einer Marionette werden und ziehen an den Fäden. Erst wenn die Augen verschwunden sind, kann man sich von den Fäden befreien und wieder man selbst sein.

Ich singe im Chor. Im Moment proben wir wöchentlich für ein neues Projekt und müssen dafür neue Melodien und Texte üben. Letzte Woche hat uns die Probe lang ein Kamerateam begleitet. Das Team hat während der Probe still gefilmt und nebenbei ein paar Fotos geschossen. Mir ist aufgefallen, dass sich alle in Anwesenheit der Kameras total verändert haben. Die Mädchen legten wert darauf immer nur ihre Schokoladenseite in die Kamera zu halten und alle waren viel unruhiger als sonst. Jederzeit wollte man wissen, wo die Kameras sind und ob sie auf einen gerichtet sind. Viele haben sich künstlich verhalten, obwohl ja bekannt ist, dass die besten Aufnahmen wohl Momentaufnahmen sind. Frei von Schauspielerei oder Positionierung. Aber in „echten“ Momenten kann man ja hässlich aussehen.
Früher auf Geburtstagspartys war es „cool“, wenn man seine Hand vor das Gesicht gehalten hat, als die Eltern Fotos machen wollten. Die Fotos wären sonst ja peinlich. Und jetzt in den Zeiten von Facebook, Instagram und Co, muss man bei jedem Foto aufpassen. Jedes Foto kann im Internet landen, daher muss man vorher schauen, ob es auch schön ist. Oder besser gesagt, ob man selbst schön ist. Die anderen sind da eher unwichtig. Wenn man mit einem Foto unzufrieden ist, dann wird augenblicklich darauf bestanden, dass das Foto sofort und auf der Stelle gelöscht wird. Und wenn man mal nicht nachsieht, dann findet man einige Tage später auf Facebook unangenehme Fotos von sich. Oder sagen wir Fotos, die nicht unsere Vorzüge zeigen. Die halt einfach echt sind. Unbearbeitet. Unverfälscht. Jeder will sich irgendwo von seiner positiven Seite zeigen. Das verstehe ich. Ich selbst bin da nicht anders. Aber ich kenne so viele Leute, die Stunden damit verbringen ihre Bilder zu bearbeiten. Damit die Nase schmaler ist und die Lippen voller. Zufälligerweise sind dann auch die Augenringe gänzlich verschwunden. Aber ich frage mich, was das bringt. Diejenigen, die einen kennen, kennen einen doch auch in echt. Wissen, wie man aussieht. Deswegen erkennen diejenigen diese Schummelei doch auch sofort. Aber trotz alledem bearbeite ich Fotos auch gerne mit Filtern und suche für meine Fotos immer nach gutem Licht, damit die Augenringe wegschummelt werden. Denn wer kann der Chance widerstehen, sich nicht besser zu präsentieren, als er eigentlich ist?